Freigesprochen - Alexandra Lange

 Rezension - Freigesprochen

 • •

Mein Mann misshandelt mich 


Heute geht es um toxische Beziehungen. Wer von euch hatte schon mal eine? 



FAKTEN ZUM BUCH 
Autor/in: Alexandra Lange 
Titel: freigesprochen 
Originaltitel:Acquittee
Verlag:  Bastei Lübbe 
Erschienen: 2014
ISBN:9783404607709
Seiten:253
Einband: TB
Serie: Erfahrungen 
Preis: 10,00€
Genre: Tatsache 

FAKTEN  ZUM INHALT
Schauplatz: Douai, Frankreich
Zeit: 2012 und davor 
Wichtige Personen: Marcelino, Alexandra 

INHALTSANGABE
Alexandra ist 17 Jahre jung, als sie durch Zufall auf Marcelino trifft, der 14 Jahre älter ist. Für sie ist es Liebe auf den ersten Blick. Das er geschieden ist, zwei Kinder hat und dem fahrenden Volk angehört, ist ihr egal. Immer wieder sucht sie seine Nähe und am Ende kommen sie zusammen. Ein Jahr später bricht sie die Schule ab und heiratet ihn, obwohl jeder sie warnt. Ihre Eltern, ihr Schwager und sogar ihr Schwiegervater. Am Anfang sind es harmlose Beleidigungen, ein Schlag mit dem Handtuch oder ein Knuff in den Oberarm. Später werden sie von heftigen Beleidigungen und echter Gewalt abgelöst. Obwohl er nicht arbeitet, faul ist und sie weiß, dass er die Kinder schlägt und zu einem Alkoholiker wird, verlässt sie ihn nicht. Jahrelang findet sie Entschuldigungen und kehrt zurück. Doch irgendwann geht es nicht mehr. Sie will weg von ihrem Mann, der immer unberechenbarer wird. Als sie ihn ein ersten Mal zur Rede stellt, und ihn mit ihren Erkenntnissen konfrontiert, kommt es zum tödlich Messerstich. Die Geschworenen und das Gericht - ja sogar der Staatsanwalt - sehen es als Notwehr an und sie wird freigesprochen. Aber hätte sie es verhindern können? Wie konnte es nur dazu kommen? Alles Fragen, die Alexandra seit dieser Nacht quälen. 

MEINE MEINUNG
Freigesprochen - ist ein Buch, das ich aus zwei Gründen lesen wollte. 

1. habe ich in meiner Jugend viele dieser Tatsachenbücher von Bastei Lübbe verschlungen 
2. Häusliche Gewalt ist leider ein stets aktuelles Thema, das mich besonders interessiert, da meine Mutter ebenfalls Opfer einer solchen Beziehung war. 

Das Buch beginnt mit der Verhandlung in einer Art Zusammenfassung und ich fühlte mich sehr hineingeworfen. Ich erfahre von dem Freispruch und will endlich erfahren, wie es zu dem Prozess kam. Es dauert dann ein paar Seiten, bis es endlich zum Anfang geht. 

Leider wird die Geschichte an Hand von Erinnerungen erzählt. So, wie ich euch ein Erlebnis erzählen würde. Es werden Gedanken eingeworfen, ein paar Beispiele genannt, während die Geschichte ihren Verlauf nimmt. Was dabei auf der Strecke bleibt, sind Emotionen. Ich konnte tatsächlich keine Bindung zu Alexandra aufbauen, konnte ihre Liebe und Abhängigkeit nicht verstehen. 

Es ist bei so einem Tatsachenroman immer schwer. Es ist schließlich so passiert und man kann nicht einfach sagen, der Autor hat den Charakter verfehlt. Man wertete, obwohl man es nicht möchte. 

Für mich ist es aber nicht nachvollziehbar und das ist bei so einem Buch eine Schwachstelle. Ich meine, ihre Kindheit war nicht perfekt, aber auch nicht tragisch. Mein Vater ist Choleriker und war oft nur am Schreien, meine Mutter hatte durch ihre eigene Kindheit und ihre vorherigen Ehen einfach nie gelernt was Liebe ist. Ich habe bis heute nie einmal von ihr gehört, dass sie mich liebt. Trotzdem würde ich mich nie so von einem Mann behandeln lassen. Zumal die Autorin sagt, dass Marcelino sie am Anfang gar nicht wahrgenommen hat. Es ist also nicht so, dass er sie umworben und ihr sonst was versprochen hat. Auch gab es keine Abweisung von einem Jungen in ihrem Alter oder eine andere Erklärung, warum sie so fixiert war. Ja Liebe macht blind, auch ich war drei Jahre mit jemanden zusammen der Drogen nahm, regelmäßig jedes Wochenende Komasaufen betrieb, sich Geld lieh, mich versetze und nur sporadisch arbeitete, aber er hat da war am Anfang diese Liebe, die man ihm angesehen hat und die er mir immer, wenn wir uns sahen auch zeigte. Da kann man manchmal über das Negative hinwegsehen, es sich schön reden, aber so. Ich habe nie verstanden, warum sie nicht gegangen ist. Welche Mutter lässt ihr Kind als Hure bezeichnen und sieht zu, dass die Kinder geschlagen werden. Ja, es gibt sie, aber meist ist dann der Hintergrund ein anderer. Dann denke ich: Es ist unverzeihlich, aber ich kann es zumindest begreifen. Hier ist es nicht so. Es gibt keinen schönen Moment, den sie mir schildern konnte, der ihr Aushalten erklärt. Aber eben auch kein tragisches oder heftiges Erlebnis aus der Zeit davor. Zumal ja schon eine Frau von ihm weggekommen ist und sich scheiden ließ. 

Und dann der Tag, als es eskalierte. Ich hätte meine Sachen gepackt, die kranke Tochter, die gesunden, meinen Vater angerufen und wäre gegangen. Oder ich hätte es an einem der nächsten Tage gemacht. Hier wird vorbereitet, geplant … und sie, die weiß, dass er unberechenbar ist, wenn er alkoholisiert aufwacht … sie die weiß, dass er so gestört und gewalttätige wie nie zuvor ist … sie fragt ihn in diesem Zustand, ob er schwul ist und bietet ihm die Stirn. Ja, irgendwann kann man nicht mehr schweigen, aber in diesem Zustand? Ich meine, ich wusste auch oft, das ich meinen Vater reize und wenn ich jetzt noch ein Wort sage, er ausrastet. Ich tat es oft genug. Ich hätte es aber nie getan, wenn er so drauf gewesen wäre. Ein Schlag, eine kaputte Tür … er war kalkulierbar und das Risiko konnte ich einschätzen, aber das ist bei jemanden, der Alkoholiker ist und so gewaltbereit ist. Ja, es ist Notwehr, keine Frage, aber ich glaube nicht, dass es so weit gekommen wäre, wenn sie an dem Abend nicht das Gespräch gesucht hätte. 

Andere Bewertungen im Netz sehen es ähnlich. Man liest die Geschichte, erfährt all das Leid, liest  die vielschichtigen Misshandlungen und fragt sich mit jeder neuen, warum packt sie nicht ihre Sachen und geht, denn sie schildert nichts, das ein Bleiben auch nur im Ansatz erklärt. Zumal sie einen netten Vater hat, Geschwister, jung ist und die 2000er genug Aufklärung, Unterstützung und Möglichkeiten für eine alleinerziehende Mutter boten. 

Lassen wir nun mal die persönliche Wertung raus, dann ist da eine blass erzählte Geschichte mit vielschichtigen Beispielen häuslicher Gewalt, die die Emotionen nicht transportiert. 

FAZIT
Butter bei die Fische - Tatsachenbücher schockieren, machen fassungslos und befassen sich mit nicht alltäglichen Themen. Daher ist es für sie besonders wichtig, dass sie sich an die Tatsachen halten, aber gleichzeitig die Emotionen der betroffenen Person gut transportieren. Das ist hier nicht der Fall. Es ist eine blasse Umsetzung, die aus einer chronologischen Aneinanderreihung von Beispielen häuslicher Gewalt besteht und den Gedanken der Autorin, die sie sich später macht oder mit diesem Moment in Verbindung bringt. Es baut aber keine Sympathie, kein Mitgefühl und keine Nähe auf. Leider. 

LESEEMPFEHLUNG FÜR - Frauen, die sich für häusliche Gewalt interessieren. 

BEWERTUNG
Da es ein Tatasachenbuch ist, lasse ich diesen Teil einmal weg, denn das kann man einfach nicht fair bewerten. 

Kommentare